Geschichte des Lehrstuhls
Die Geschichte des Lehrstuhls für Eisen- und Stahlmetallurgie geht wie auch jene der Montanuniversität Leoben zurück auf die Ernennung Peter Tunners zum Professor für Berg- und Hüttenkunde am 15. Mai 1835. Eine ausführliche Darstellung der wechselvollen Geschichte des späteren Instituts für Eisenhüttenkunde und ihrer Protagonisten findet sich in der Festschrift zum 150-Jahr-Jubiläum der Montanuniversität aus dem Jahr 1990. Die Entwicklung der folgenden 25 Jahre unter den Instituts- bzw. Lehrstuhlvorständen O.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.mont. Herbert Hiebler (bis 2001), Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.mont. Wilfried Krieger (2002 bis 2007) und Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Johannes Schenk (seit 2008) war maßgeblich beeinflusst von einer dynamischen Entwicklung des industriellen Umfelds im In- und Ausland, und zusätzlich geprägt durch tief greifende strukturelle Veränderungen der österreichischen Universitäts- und Forschungslandschaft. Am Ende dieses herausfordernden Umbruchs steht ein international vernetzter, weltweit sichtbarer, mit motivierten Mitarbeitenden und modernem Gerät ausgestatteter Lehrstuhl mit zukunftsorientierten Forschungsschwerpunkten. Doch zurück zum Beginn der 1990er Jahre: Als herausragend visionäres Forschungsthema zeigte sich die „Wasserstoffmetallurgie“, die Idee der Reduktion von Eisenoxid durch Wasserstoff an Stelle des üblichen Kohlenstoffs zur Vermeidung des klimabeeinträchtigenden Kohlendioxids (CO2) als Reaktionsprodukt. Die zwei Prozessstufen der Eisen- und der nachfolgenden Stahlherstellung könnten durch die Wasserstoffmetallurgie zu einem einzigen, umweltneutralen Prozess vereint werden. In vier aufeinanderfolgenden Dissertationen, betreut durch die Professoren Hiebler und später Krieger, wurden bereits in den 1980er Jahren erste Grundlagenuntersuchungen durchgeführt, anschließend wurde ein Versuchsaufbau zur Schmelzreduktion im Ar/H2-Plasma entwickelt und dieser schließlich über fast 15 Jahre erfolgreich betrieben. In den Jahren 2004 bis 2009 war der Lehrstuhl für Eisen- und Stahlmetallurgie mit diesem Thema am europäischen ULCOS (= Ultra Low CO2 Steelmaking)-Konsortium beteiligt. Eine logische Weiterführung dieser Aktivitäten stellte nach der Berufung von Schenk zum Professor für Metallurgie im Jahr 2008 die Forschung an der Feinerzreduktion in der Wirbelschicht dar. Mit maßgeblicher Unterstützung durch Industriepartner konnte ein ursprünglich in Linz installierter Wirbelschichtreaktor nach Leoben verlegt werden, der die Reduktion von bis zu fünf Kilogramm Einsatzstoffen erlaubt. Ein elektrisch beheizter Vertikalrohrofen für die Untersuchungen der Reduzierbarkeit von Einsatzstoffen in Reduktionsprozessen ergänzte die Ausstattung des modernsten Reduktionslabors Österreichs. Die mineralogische Charakterisierung von Einsatzstoffen und Versuchsproben wurde in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Geologie und Lagerstättenlehre entwickelt und erschließt heute vollkommen neue Interpretationsmöglichkeiten für die Versuchsergebnisse. Die Forschung an Reduktionsprozessen stellt derzeit und wohl auch in Zukunft eines der wichtigsten Schwerpunktthemen des COMET-K1-Zentrums K1-MET dar. Dieses metallurgische Kompetenzzentrum, eine Initiative der österreichischen Stahlindustrie und ihrer Zulieferindustrie mit einem Jahresumsatz von rund vier Millionen Euro und den Standorten Leoben und Linz, wurde im Jahr 2008 eingerichtet und im Jahr 2014 für weitere zehn Jahre verlängert. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt der 1990er- Jahre, dessen Höhepunkt die Habilitation von Univ.-Prof. Hon.-Prof. Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. mont. Hubert Presslinger im Fach „Metallurgie und Verfahrenstechnik der Stahlerzeugung“ im Jahr 1994 markierte, war die Entphosphorung von Stahlschmelzen im LD-Konverter. Diese Fragestellung wurde in den letzten Jahren mit neuen Werkzeugen wieder aufgenommen: Im Rahmen von Projekten am Kompetenzzentrum K1- MET entstehen nunmehr numerische Prozessmodelle für LD-Konverter mit ausgefeilten thermodynamischen Datenbanken im Hintergrund. Ebenfalls in die Zeit der späten 1980er-Jahre reicht die Intensivierung der Stranggießforschung am Lehrstuhl zurück, und diese ist besonders mit dem Namen Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr.techn. Manfred Wolf verbunden. Der frühere Concast Entwicklungsleiter konnte einerseits als Lehrbeauftragter gewonnen werden und vermittelte andererseits Versuchseinrichtungen der EPFL Lausanne, wo man sich unter Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.mont. Wilfried Kurz aus der experimentellen Stranggießforschung zurückzog. Wolf habilitierte 1996 an der Montanuniversität im Fach „Stranggießmetallurgie“. Seine Habilitationsschrift ist noch heute weltweit das Standardwerk über das Verhalten peritektischer
Stähle im Stranggießprozess. Er verstarb im Jahr 2001 in Zürich im Alter von nur 63 Jahren. Aus der andauernden Weiterentwicklung der Forschung an Gießprozessen ragt die Einrichtung eines Christian Doppler Labors unter dem Leiter Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.mont. Christian Bernhard im Jahr 2002 heraus: Erstmals bildete sich eine homogene Arbeitsgruppe, deren Mitgliederzahl seit dieser Zeit beständig gewachsen ist. Die derzeitige Projektlandschaft umfasst Forschungsarbeiten an praktisch allen großtechnisch verwendeten Gießverfahren für Stahl in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern. Ausdruck der engen Verbundenheit mit den Industriepartnern sind auch die Habilitation von Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr.mont. Guangmin Xia von voestalpine Stahl im Fach „Stranggießmetallurgie“ im Jahr 2012 und seine Einbindung in facheinschlägige Lehrveranstaltungen an der Montanuniversität. In die Zeit von Krieger fallen erste umfassende Arbeiten im Themenfeld „Reinheitsgrad von Stählen“. Die Entstehung, Veränderung und Abscheidung nichtmetallischer Einschlüsse wird in Experimenten nachgestellt und mit Hilfe von modernen analytischen und numerischen Methoden beschrieben. Seit 2010 verfügt der Lehrstuhl als eine von nur drei Forschungseinrichtungen in Europa über ein Hochtemperaturmikroskop mit Laserlichtquelle, das die Beobachtung des Verhaltens nichtmetallischer Einschlüsse bei Temperaturen von mehr als 1.600 Grad Celsius erlaubt. Im Jahr 2011 wurde für Ass.-Prof. Dipl.- Ing. Dr.mont. Susanne Michelic eine Qualifikationsstelle eingerichtet, um die Entwicklung des Forschungsbereichs nachhaltig zu fördern. Als Beispiele für die zahlreichen weiteren Forschungsaktivitäten seien die Wärmebehandlungs- und Oberflächentechnik, die Schweiß- Schmelzversuch im Induktionsofen im Technikum des Lehrstuhls für Eisen- und Stahlmetallurgietechnik und die Erforschung der Herstellung von neuen Stahlwerkstoffen erwähnt. In der Lehre verstand sich der Lehrstuhl für Eisen- und Stahlmetallurgie stets als Leitorganisation der Studienrichtung Hüttenwesen, heute Metallurgie. Hiebler und Krieger fungierten lange Jahre als Studiengangsbeauftragte und Vorsitzende der Diplomprüfungskommission. Der Studienplan der Studienrichtung Metallurgie änderte sich in dieser Zeit von einem zweistufigen Studium mit Studienzweigen zu einem dreistufigen Studium und schließlich zu einem Bachelor und Masterstudienprogramm. In der Lehre wird, auch mit Unterstützung durch externe Lehrbeauftragte, nicht nur die Prozesstechnik der Eisen- und Stahlherstellung, sondern auch die Werkstofftechnik Stahl, sowie die Wärmebehandlung und Schweißtechnik vertreten. Ein wichtiges Anliegen war und ist die Anzahl an Erstinskribierenden der Studienrichtung Metallurgie: Durch jahrelange Anstrengungen konnte die Anzahl der Erstinskribierenden im Bachelorstudium dauerhaft auf mehr als dreißig angehoben werden, und das trotz einer zunehmenden Konkurrenzsituation mit neuen Studienrichtungen an der Montanuniversität. Aus den verschiedenen Initiativen ragen die sogenannten „Metaldays“ heraus: Hier werden Schüler mit finanzieller Unterstützung von Industrieunternehmen für eine Woche an die Montanuniversität eingeladen und von allen Fachbereichen an die künftige Aufgabenstellungen der Metallurgie herangeführt. Im Interesse der Internationalisierung der Ausbildung werden seit dem Sommersemester 2012 mehrere Vorlesungen, Seminare und Übungen in englischer Sprache angeboten. Ebenso im Licht der Internationalisierung sind die Exkursionen des Lehrstuhls unter Schenk zu sehen, welche die Teilnehmenden nach Korea und China (2009), Brasilien (2011), Südafrika (2013) und Italien (2014) führten. Seit dem Jahr 2011 besteht eine Kooperation mit der Universität in Ouru Preto (Brasilien), und auch der Studentenaustausch mit anderen ausländischen Universitäten wird bewusst gefördert. Rund ein Drittel der wissenschaftlich Mitarbeitenden des Lehrstuhls kommt ursprünglich nicht aus Österreich. Die vorliegende Beschreibung liefert nur einen kurzen Abriss der Anstrengungen, die unternommen wurden, um den Lehrstuhl für Eisen- und Stahlmetallurgie an die sich ständig ändernden Herausforderungen in Forschung und Lehre heranzuführen. Besonders zu würdigen ist an dieser Stelle der Verdienst von Krieger, dessen gestalterische Energie dem Lehrstuhl durch schwere Krankheit und seinen Tod im Jahr 2009 viel zu früh entzogen wurde.